Verständliche Wahlprogramme? Fehlanzeige!

Verständliche Wahlprogramme? Fehlanzeige!

Seit 2009 analysieren Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim in Stuttgart die Wahlprogramme der Parteien. Im Fokus stehen dabei Fragen wie: Kommunizieren die Parteien in ihren Wahlprogrammen so verständlich, dass die Wahlberechtigten sie verstehen können? Welche Verständlichkeits-Hürden finden sich in den Wahlprogrammen? Und welche Themen und Begriffe dominieren in den Programmen? Ergebnis: Es gibt für alle Parteien noch Luft nach oben.

So beherrschen beispielsweise Bandwurmsätze mit bis zu 90 Wörtern (FDP), Wortungetüme wie „Gebärdensprachdolmetschung“ (Grüne) oder Fachbegriffe wie „CO2 Carbon Capture and Storage“ (Die Linke) die Wahlprogramme und sind daher im Durchschnitt für viele Laien unverständlich. Weitere Wortungetüme, auf welche die Wissenschaftler gestoßen sind: „Erwerbsminderungsrentnerinnen“ (Die Linke, SPD), „Statusfeststellungsverfahren“ (FDP) oder „Mindestlohndokumentationspflichtenverordnung“ (FDP).

Aber auch zahlreiche Fremd- und Fachwörter sind enthalten, Beispiele: „Race to the Top“ (Die Grünen), „Braindrain“ (Die Grünen), „Failed States“ (AfD), „Economic Partnership Agreements“ (SPD), „Genome-Editing“ (FDP), „Small Banking Box“ (FDP), „Share Deals“ (Die Linke) oder „‘one-in, one-out‘-Regel“ (CDU/CSU).

Fachjargon und Verwaltungsdeutsch
Dabei könnten alle Parteien verständlicher formulieren, so Prof. Dr. Brettschneider, dessen Team die Wahlprogramme untersucht hat. „Das beweisen gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil. Die Themenkapitel sind hingegen das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden. Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den ‚Fluch des Wissens’. Zudem nutzen Parteien abstraktes Verwaltungsdeutsch auch, um unklare oder unpopuläre Positionen zu verschleiern. In diesem Fall sprechen wir von taktischer Unverständlichkeit“, erläutert der Experte.

Auch zu lange Sätze erschweren nach Ansicht der Wissenschaftler das Verständnis. „Der längste Satz findet sich im Programm der FDP mit 90 Wörtern. Aber auch bei allen anderen Parteien tauchen überlange Sätze mit mehr als 50 Wörtern auf. Sätze über 30 und 40 Wörter sind kein Seltenheit“, erklärt Claudia Thoms, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Kommunikationstheorie der Universität Hohenheim.

„Hohenheimer Verständlichkeitsindex“ ist gestiegen
Zur Analyse der Wahlprogramme, die zwischen 74 und 238 Seiten lang sind, wenden die Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Brettschneider eine Analyse-Software an, die gemeinsam mit der Ulmer Agentur H&H CommunicationLab entwickelt wurde. Sie fahndet nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern und bildet auf den Ergebnissen den sogenannten „Hohenheimer Verständlichkeitsindex“, der von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht.

Auf Basis dieses Vorgehens fanden die Wissenschaftler heraus, dass die Verständlichkeit der Bundestagswahlprogramme 2017 durchschnittlich bei 9,1 Punkten liegt. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 ist der Index gestiegen. Damals lag der Mittelwert bei 7,7 Punkten. Mit dem aktuellen Ergebnis ist Prof. Dr. Brettschneider dennoch nicht zufrieden, denn: „Alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen sie jedoch einen erheblichen Teil der Wähler aus und verpassen damit eine kommunikative Chance.“

CDU/CSU-Wahlprogramm ist am verständlichsten
Insgesamt schneidet das Programm von CDU/CSU mit einem Wert von 10,8 (nach 9,9 bei der letzten Wahl) am besten ab. Nur der Bayernplan der CSU ist mit 12,3 formal noch verständlicher. Die Grünen (10,0) sind wie bei der letzten Bundestagswahl auf Rang 2 (damals: 8,4). Auf dem dritten Platz liegt die Linke mit 9,3 (2013: 7,7). Es folgen die FDP (9,1) und die SPD (8,4). Am unverständlichsten ist das Programm der AfD (7,3).

Link zur Pressemitteilung der Uni Hohenheim:

Bundestagswahl 2017: Wahlprogramme sind für Laien oft unverständlich

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